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Beitrag vom 06.01.2006
Ultranova
Karin Effing
Mit kargen Landschaftaufnahmen und ausfleddernden Geschichten verweigert sich der Regisseur Bouli Lanners in seinem ersten langen Spielfilm dem Erzählkino und der Psychologisierung seiner Figuren.
Dimitri ist 25 und hat einen anscheinend "vernünftigen" Beruf. Mit zwei Kollegen verkauft er schlüsselfertige Häuser an Kleinfamilien mit Bausparverträgen. Eines Tages nehmen die Drei bei strömendem Regen einen Anhalter mit, einen bieder aussehenden Mann, dessen Airbag plötzlich und ohne Ursache explodiert ist. Was symptomatisch für diesen Film ist, der sich ganz nach der Logik des realen Lebens, nach Zufällen richtet. Jeanne ist fasziniert von dem einsamen und schweigsamen Jungen. Ihrer Freundin Cathy, mit der sie in einem Möbellager arbeitet, erzählt sie die geheimnisvolle und dramatische Vorgeschichte seiner Zurückgezogenheit, die sie sich ausgedacht hat. Cathys Interesse wird dadurch an Dimitri geweckt und sie beginnt eine Freundschaft mit ihm…
Die Figuren dieses interessanten Filmes begegnen sich nie wirklich. Beziehungen finden mehr oder weniger in der Phantasie statt. Die Körper berühren und finden sich nur in den Szenen des Handlesens, wenn Cathy und Jeanne ihr Leben in den Linien der Handinnenflächen zu ergründen suchen und mit den Fingern diese Linien nachzeichnen. So als suchten sie eine konsistente Geschichte, eine mit Anfang, Mittelteil und Schluss, nach einem Sinn. Genau dies verweigert jedoch der Film, es gibt keine Geschichten, keinen Anfang, kein Ende. "Ultranova" sperrt sich gegen jede Psychologisierung. Geschichten, die angelegt werden, verlaufen im Sand. Assoziationen, die ausgelöst wurden, bleiben unerfüllt stehen. Immer wieder werden die Erwartungen der Zuschauerin in die Irre geleitet, bis sie es aufgibt und sich einfach den Bildern, der Musik und ihren Stimmungen überlässt. Die einzelnen Szenen sind kalt. Emotionalität entsteht rein über die Bilder und die minimalistische Musik von Jarby McCoy.
Bouli Lanners: "Basis meiner künstlerischen Leidenschaft ist die Malerei und dort besonders die Landschaftsmalerei. Bei diesem Film hing für mich alles mit einem bestimmten Gefühl zusammen, das mich während der ganzen Produktion nicht verlassen hat. Genauso, als wenn ich malen würde, ließ ich mich von meinem Instinkt leiten. So wurde das Drehbuch beständig auseinander genommen, umgebaut und wieder zusammengesetzt - vom Schreiben bis zum Ende des Schnitts. Die Weite des Cinemascopes wurde zur Leinwand, die Schauspieler zu Farbabdrücken und der Film zu guter Letzt zu einem Gemälde.
Meine Inspiration sind die Erlebnisse der Menschen aus meiner Umgebung, kleine Anekdoten und kurze Geschichten, die sie mir erzählen. Entgegen dem Bild, das die Leute von mir haben oder das ich vermittle, mag ich Dinge, die traurig sind. Ich zeige die Welt in ihrer natürlichen Traurigkeit."
Der Regiesseur Bouli Lanners wurde 1965 in Moresner-Chapelle geboren. Als Maler diverse Ausstellungen. Er arbeitete als Ausstatter, Szenenbildner, Regieassistent, vielbeschäftigter Schauspieler und inszenierte zahlreiche Kurzfilme.
"Ultranova" erhielt den Preis der CICAE auf der Berlinale 2005.
AVIVA-Tipp: "Ultranova" von Bouli Lanners ist ein karger Film, der über seine Landschaftsaufnahmen und die Musik von Jarby McCoy funktioniert. Es entsteht ein Puzzle, keine Erzählung, was ihn spannend und modern macht und der Zuschauerin ermöglicht, ihre Sicht und ihre Einstellung zum Kino zu überdenken.
Ultranova
Belgien/Frankreich 2004, 86 Minuten
Regie und Buch: Bouli Lanners
Kamera: Jean-Paul de Zaeytijd
Schnitt: Ewin Ryckaert
Musik: Jarby McCoy
Produzent: Jacques-Henri Bronckart
DarstellerInnen: Vincent Lecuyer, Hélène de Reymaeker, Marie du Bled, Michael Abiteboul, Vincent Berlogey, Viviane Robert, Ingrid Heiderscheidt, Serge Larivière
Filmstart: 05. Januar 2006